Erfolgreiches Auftaktfest der "Unruhestifter"

Die "Unruhestifter" sind eine kürzlich gegründete Initiative von Kunstschaffenden, die die Unruhe zur ersten BürgerInnenpflicht erklären. Da kann man nur zustimmen: Deutsch-preußische "Ruhe und Ordnung" haben wir schließlich viel zu viel, so viel, dass Mehltau über dem Land liegt und fast alle apathisch und passiv vor sich hin murksen. Kieler Unruhestifter wollten es nun nicht bei einem Manifest belassen, sondern künstlerisch zur Tat schreiten unter dem Motto: "Unruhe - für eine solidarische, multikulturelle Gesellschaft, für ein friedliches Deutschland, gegen ein Deutschland der sozialen Eiszeit, für die Förderung der kulturellen Vielfalt."

Die Veranstaltung war für den 26. August sehr kurzfristig und geradezu spontanistisch anberaumt worden - auch noch an einem Mittwoch -, so dass niemand wissen konnte, ob überhaupt eine ansehnliche Zuhörerschar im Kieler Club M zusammenströmen würde. Aber: Sie strömte, wenn auch mit etwas schüchterner Verspätung, was bei Experimenten nur natürlich ist. Während die Gäste nach und nach eintrudelten und den Veranstaltungsraum bevölkerten, nutzten die Künstler und Unterstützer die Zeit für akustische und optische Feinabstimmungen. Beste Gelegenheit also, die von der SDAJ betriebene Bar aufzusuchen und sich kennenzulernen.

Den Beginn machten Katja Reusch, die als Sängerin, an Quatro und E-Piano wohl am meisten im Einsatz war an diesem Abend, und Holger Schwarz (Gesang und Trommel). Der Anfang ist fast immer etwas schwierig, aber die kraftvolle und gleichzeitig nuancierte Stimme von Schwarz war gleich ein Sprung ins Volle. Hier wie auch bei den folgenden Künstlern dominierten lateinamerikanische Stücke spanischer Sprache. Das tat dem Verständnis aber keinerlei Abbruch, da die Schlüsselbegriffe sowieso jeder versteht und die Künstler jeweils eine kleine Hinführung zum Inhalt boten. Die Texte waren teils unmittelbar politisch, teils etwas indirekter und hintergründiger. Perfekte Mischung. Der Lyriker Günter Ernst las einige seiner Stücke vor, häufig mit Kieler Bezug. Es ist unmöglich, Lyrik nach einmaligem Hören angemessen zu würdigen. Jeder weiß das. Aber der Autor dieser Zeilen fand sein Gefallen daran und klatschte kräftig (wie alle anderen auch). Der Peruaner César Mazzi (Gesang und Gitarre) sang unter anderem über die jahrhundertelange Unterdrückung und Ausbeutung der Altamerikaner durch die Spanier und all die anderen bis hin zum CIA und den Kampf dagegen (u.a. Lieder von León Gieco, Daniel Viglietti).

Nach einer Pause setzten Katja Reusch und Oliver Bobsien (Gesang, Gitarre) mit einigen wunderbaren Stücken von Victor Jara fort (die Pinochet-Faschisten folterten ihn, brachen ihm die Finger, damit er nicht mehr Gitarre spielen konnte, und erschossen ihn später), u.a. Te recuerdo, Amanda; Luchin; Lo unico que tengo. Die sehr schöne, zum Inhalt der Lieder absolut passende Stimme von Bobsien bleibt besonders in Erinnerung. Nachdem Günter Ernst abermals einige seiner lyrischen Werke gelesen hatte, trug Martin Kramm "Das Lied vom roten Pfeffer" von Erich Weinert vor, entsprechend kommentiert und leicht aktualisiert: "Da muss roter Pfeffer dran!" Zustimmung war natürlich gesichert. Ein Vertreter der SDAJ gab einen kurzen Überblick über den - nicht ganz unerheblich von der SDAJ mitorganisierten - Schulstreik, der in Kiel bereits zweimal mehrere tausend Schüler (auch bei strömendem Regen) auf die Straße getrieben hatte. Allerdings - es konnte kaum anders sein - hatten einige vermummte, gewaltbereite, dick gepanzerte Schildkröten in grüner Uniform versucht, diese endlich stattfindende Unruhe zu "disziplinieren". Wir werden sehen...Den Schlusspunkt setzten Reusch und Schwarz, diesmal auch mit deutschen Texten. Anti-Kriegslieder und die "Ballade vom Wasserrad" (Brecht / Eisler) trafen den Nerv: "Ich meine, dass wir keine anderen Herren brauchen, sondern keine!" und "Krieg dem Kriege!"

Alle KünstlerInnen haben dem Autor dieser Zeilen aufrichtigen Respekt abgenötigt, alle haben mit großem Können vorgetragen. Die ungefähr zweistündige Veranstaltung wurde von insgesamt etwa 80 Gästen besucht. Wegen des Wochentags gab es einige Fluktuation: Manche kamen mitten in der Veranstaltung dazu, manche mussten früher gehen, aber der Raum konnte zeitweise nur Stehplätze bieten.

Es wäre sehr zu hoffen - und nach diesem Auftakterfolg doch auch anzunehmen -, dass in den nächsten Monaten weitere schöne Feste dieser und ähnlicher Art von unruhigen KünstlerInnen in Kiel und anderswo folgen werden.

S. H.

Katja Reusch, Holger Schwarz, Oliver Bobsien

Foto: Christel Pieper

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