Unruhe braucht das Land!
Gekürzter Diskussionsbeitrag von
Werner Lutz auf der bundesweiten Konferenz
"Wir zahlen nicht für eure Krise" am 14.11.09 in Stuttgart

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

es tut gut, auf einer Konferenz zu sein, die vom Geist des Widerstands geprägt ist.

Auf einer Konferenz, bei der Menschen zusammen kommen, die Bewegung in die Verhältnisse bringen wollen.

Die Initiative, die ich vorstellen möchte, setzt auf Menschen wie euch!

Ihr wißt, daß seit Jahren viel von Bildung, Wertegemeinschaft, Kultur u. Chancengleichheit d. Rede ist.

Ich bin aus der Nürnberger Gegend, und dort erfahren Menschen zur Zeit sehr konkret, was von diesen hohen Begriffen zu halten ist:

Ob Schaeffler oder Schickedanz, AEG-Eigner oder Siemens: die Wertegemeinschaft besteht darin, daß die unten mit Kurzarbeit und Entlassungen bezahlen, was die oben verzocken oder vergeigt haben!

In einem Land,

...da herrscht nicht die Kultur, sondern die Unkultur!

Es ist kein Zufall, daß Stiftungen u. Wohltätigkeitsbälle, daß Suppenküchen u. Spendensammlungen Hochkultur haben! Da wird Almosenstimmung verbreitet, und im Grunde genommen jedem Menschen sein Recht auf Leben in Würde verweigert!

Kultur ist keine Ware, sondern wahre Kultur stellt den Menschen ins Zentrum!

Ihr erinnert euch: weit vor Bundestagswahl hat DGB-Chef Sommer gewarnt: wenn Sozialabbau fortgesetzt werde, könnte es zu Unruhen kommen. Einige Künstlerkollegen haben den DGB-Chef ernst genommen:

Wir waren allerdings der Meinung, daß einige Anstrengungen nötig sind, um Unruhe herzustellen. So wurden wir zu Unruhestiftern!

Einmal im Jahr eine Großdemo ist schön und macht Mut, aber wir brauchen mehr: eine Politisierung in unserer Gesellschaft! Und eine Kultur, die nicht den Ansprüchen der Reichen genügt, sondern eben diese Politisierung befördert.

Diese Politisierung wird nur möglich sein, wenn von der Linken auch der Anspruch formuliert wird, die kulturelle Hegemonie in unserer Gesellschaft wieder zu erlangen.

Es gab in den 70ern und 80ern in Deutschland bis hinein in die Lebensmilieus kulturelle Alternativen (Kulturhäuser, Jugendzentren, Frauenzentren, Stadtteilbibliotheken), wo der kulturelle Raum durch linke Inhalte besetzt war. Dies war in dieser Zeit stets verbunden damit, daß Ansprüche formuliert wurden, die mit gesellschaftlichen Alternativen auf ein "lebenswertes Leben", auf ökologische , friedliche und sozial gerechte Perspektiven abzielten.

Diese Zeit - das wissen noch viele - war geprägt von großen Bewegungen (Anti-AKW; Friedensbewegung, Kampf um die 35-Stunden-Woche), und - eben auch von der dazugehörigen Kultur, die mehr als die Musik dazu machte - eben der Lebenskultur. Eine Kultur, die Solidarität und Mut vermittelte, um den Kampf für die als richtig und notwendig erkannten gesellschaftlichen Alternativen zu begleiten und ihm Kraft zu geben.

Deswegen ist linke Kultur schon immer mehr gewesen als irgendwelche Rockbands und Liedermacher, die auf Kundgebungen spielen:

Nur wenn es uns gelingt, neben dem Aufzeigen gesellschaftlicher Alternativen unsere eigenen Werte, unsere Ethik (Solidarität, Stolz, Selbstbewußtsein, Kraft, Mut) breiter zu verankern (und das geht nicht allein mit Aufklärung über Broschüren, Flugblätter), werden wir erfolgreich sein.

Zugespitzt: wer nicht bereit ist, jetzt mit sein Bürgerhaus in der Nachbarschaft gegen den kulturellen und sozialen Kahlschlag zu verteidigen, der wird sich auch schwer tun, erfolgreiche Bewegungen gegen die Rente mit 67, für ein soziales Gesundheitswesen usw. zu erreichen.

Das ist die eigentliche Mission des Projektes "Unruhe stiften". Und damit stehen wir noch ziemlich am Anfang. Trotzdem: die KünstlerInnen und Kulturschaffenden (700), die bis jetzt diesen Aufruf unterschrieben haben und weiter unterstützen, stehen auf jeden Fall dafür, daß sie dazu einen Beitrag leisten wollen...

Der Aufruf (nach wie vor ist es lediglich ein Aufruf) steht seit Juli 2009 im Internet und wird ständig weiterverbreitet und unterstützt. Es gab Ende August eine erste Veranstaltung in Kiel, andere werden zur Zeit überlegt. Mit dem Aufruf entsteht Stück für Stück nicht nur ein Netzwerk linker Kulturschaffender und Künstler in Deutschland, sondern die attraktivste Linkliste für Veranstalter linker Kultur (von Galerien über Rockbands, Kindertheater, Schauspieler, Folkgruppen, Autoren, Filmregisseuren, Kabarettisten bis zu Whiskeybotschaftern und Vereinen zur Trauerkultur gibt es eine repräsentative Breite).

An namhaften Persönlichkeiten haben den Aufruf bis jetzt unterstützt:

Sonja Kehler, Lydie Auvray, Lutz Görner, Sabine Kebir, Dietrich Kittner, Doris Gercke, Erich Schaffner, Dieter Dehm, Bernd Köhler, Konstantin Wecker, der Ernst-Busch-Chor Berlin, Quijote, Elfriede Brüning, Die Bösen Mädchen, Rotdorn, Klaus der Geiger, Habib Bektas, Schorsch & die Bagasch, Einhart Klucke, die Microphone Mafia u.v.a.

Der Aufruf "Unruhe stiften" äußert sich zu vier Themen klar gegen rechts, gegen den Krieg, gegen Sozialabbau und für mehr Rechte von KünstlerInnen und Kulturschaffenden in unserer Gesellschaft.

Die Präambel zu dem Aufruf hat Hannes Stütz geschrieben. Sie lautet:

Wir schätzen den kulturellen Reichtum aller Völker.
Wir wollen das Recht eines jeden Menschen respektiert sehen,
seine eigene Kreativität zu entdecken und zu entwickeln.
Wir wollen, dass jeder Mensch Zugang erhält zu den oft Jahrtausende alten
Traditionen von Kunst und Kultur.
Diese Traditionen sprechen in einem großen Chor von Menschenfreundlichkeit,
Frieden und Gerechtigkeit. Wie es einst in die ursprüngliche Losung
der großen französischen Revolution von 1789 gemündet ist:
Freiheit, Gleichheit, Solidarität.
Nichts davon ist zurückzunehmen.
Deshalb brauchen wir Unruhe:

zurück